Nur die Zitrone, bitte!

Was tut man, wenn beim Telefonieren der Gesprächsstoff ausgeht? Zum Beispiel Auflegen.

Vor kurzem stieß ich bei gutefrage.net zufällig auf folgenden Hilferuf:

Ich habe so ne Art Telefonfreundschaft, wir telefonieren fast täglich, aber langsam merke ich, dass uns der Gesprächsstoff ausgeht. Wir haben schon über alles Mögliche geredet, und jetzt wollten wir es so machen dass er sich ein Thema überlegt und ich auch, über die wir dann reden könnten, nur leider fallen mir keine ein. Ich hoffe, ihr habt ein paar Vorschläge für mich.

Mehr als ein dutzend freundliche Webmenschen machten sich ernsthafte Gedanken. Man könne über Sport, Musik, Filme, Rihanna, Beyonce, Fahrrad fahren, Schoko, Vanille, Singen oder das Wetter reden. Zur Not solle man sich halt Witze erzählen.
Der Telefoniererin war damit nicht geholfen: Über das haben wir schon alles geredet
Ein unerschütterlicher Problemlöser schlug daraufhin folgendes vor: Ihr könnt das Alphabet nehmen. Fangt mit A an und jeder erzählt etwas zu einem Thema mit A wie z.b. Autos oder Afrikaner. Dann B, C,....

Ich stehe dieser Forums-Diskussion etwas ratlos gegenüber. Vielleicht deshalb, weil meine Telefonate komplett anders verlaufen. Zum Beispiel mit meiner Nachbarin. Da wir uns schon länger kennen, sind wir bereits am Ende des Alphabets angelangt.

„Hallo, kannst du mir eine Zitrone borgen?“
„Ja.“
„Bin gleich bei dir.“
Gesprächsdauer: Fünf Sekunden. Aber das ist nicht unser Rekord.
„Magst du Kuchen?“
„Aber gerne.“
Etwas länger dauerte diese Konversation:
„Das Wasser tropft von oben. Ich glaube, du hast einen Rohrbruch.“
„Bin nicht zuhause. Ruf die Feuerwehr!“
Ich mag das. Ohne Umschweife kommen wir zum Punkt. Ich muss mich nicht nach dem Gesundheitszustand der gesamten Verwandtschaft erkundigen, weil mir der Zucker ausgegangen ist.

Meine Nachbarin und ich haben ein Abkommen. Wenn wir etwas brauchen, dürfen wir uns gegenseitig anrufen, ohne zu fragen: „Wie geht es dir?“ Die jeweils andere empfindet das nicht als Unhöflichkeit, sondern als schonenden Umgang mit der knappen Ressource Zeit.
Für die Frage „Wie geht es dir?“ nehmen wir uns Zeit und köpfen am Küchentisch eine Flasche Wein.
Ansonsten gilt: Nur die Zitrone, bitte.

Alexandra Gruber schreibt und fotografiert für dieZeitschrift. Sie wohnt in Wien-Neubau, geht oft ins Cafe Europa und färbt sich seit jeher ihre Haare rot. Manchmal beschleicht sie die bange Ahnung, sie sei ein Bobo.