Ahnenerbe (1)

Der sagenhafte Schatz der Nordalpen! Nur der Pianischt weiß, wo er liegt. Für 50.000 gibt’s eine Expedition ins ewige Eis. Aber die Zeit drängt und des Führers Gene drohen zu tauen.

Thorwart, Odinfried und Ramses sind vom Kommers übrig geblieben. Sie sitzen vor ihren Bieren, stieren vor sich hin und sind stolz auf ihre Narben.
Ich stelle mich vor: „Kunze. Wotan Kunze. Aber ich lege Wert auf die Endung – ein langes ‚e’, gesprochen Kunzeh. Das hat was, klingt melodiöser, weil so heißt eh bald jeder Deitsche. Wenns’ dann am Amt fragen: ‚Wie schreibt man des?’, dann ist’s richtig. Er da“, ich zeige auf den Pianischten, „is da Andre. Hofer. Aus dem Heiligen Land. Ratet mal, wer sein Nachbar war, kürzlich verstorben?“
Thorwart, Odinfried und Ramses stieren mich nur fragend an.
„Der Sepp Huber“, sage ich.
„Wer soll das sein?“, fragt Thorwart, „Ja und?“ Odinfried. Ramses rülpst.
„Da Huaba Sepp!“, kommt vom Pianischten, trägt aber wenig zum Verständnis bei.
Ich stelle den Mantelkragen hoch, blicke nach links, nach rechts und nochmal genauer nach links. „Na Sepp Huber! Habt ihr denn alle keine Ahnung? Er war der Hüter. Es geht um die Gene von IHM!“
„Von wem?“, fragt Thorwart.
„Na wer hat die Westautobahn gebaut, Kamerad, zumindest von der bayrischen Grenze bis Salzburg? Alles weitere folgte ja erst deutlich nach der Endniederlage.“
„Gibt’s doch nicht!“, sagt Thorwart. „Wie jetzt?“, fragt Odinfried, „Wos?“ Ramses.
„Der Sepp Huber, oder Huaba Sepp, wie er in Tirol hieß, war der alte Wirt von der Wahnfried Hütte am Großen Patschergurgl. Ganz in der Nähe liegt die Gletscherspalte, die das Erbe birgt. Wo genau, hat nur der Huaba Sepp g’wusst und der einzige Mensch, den er zu Lebzeiten eingeweiht hat, sitzt hier neben mir.“
„Woll, woll!“, sagt der Pianischt.
„Und das sollen wir jetzt glauben?“ Thorwart bleibt skeptisch. Odinfried stiert interessiert. Ramses unterdrückt seinen Schluckauf.
„Es war im kalten Feber 1945, da hat SEIN treuer Kammerdiener einen Ausschlag gekriegt und fortan nicht mehr rein dürfen ins Schlafgemach vom Bunker. Da ist halt der Sepp Huber eingesprungen, ein braver Tiroler, Gefolgsmann der ersten Stunde, Blutordensträger! Als der eines Morgens SEIN Bett überziehen wollte, da ist ihm im Leintuch ein Fleck aufgefallen. Den hat er dann ausg’schnitten, in eine leere Flasche Moselwein gesteckt und diese im Kühlraum deponiert. Irgendwie hat später Himmler davon erfahren und sofort veranlasst, dass der Huber mitsamt seiner Weinflasche in einem der letzten Flieger aus dem belagerten Berlin direkt in die Alpenfestung gebracht wurde. Die Flasche kam in eine Gletscherspalte, dem Huber haben sie eine Hütte gebaut, dort ist er bis vor wenigen Wochen der Wirt gewesen und der Wächter.“
„Wie jetzt“, fragt Thorwart, „quasi ein Wichstuch?“
„Ein Samenlappen?“ fragt Odinfried.
„A Tschurifetzen vom Führer!“, ruft Ramses.
„Ganz genau“, sage ich, „der Schatz der Nordalpen, eines der letzten Relikte des Tausendjährigen Reiches! Bedenkt doch, SEINE Gene sind immer noch in der Flasche. Damals war die deutsche Medizin noch nicht so weit, aber Himmler hat gleich die ganze Tragweite erfasst und für die Zukunft vorgesorgt. Heute ist das natürlich ganz was Anderes. Ihr habt doch sicher Mediziner in eurer Verbindung, Genetiker, Reproduktionsexperten?“
„Eine Reliquie!“, sagt Thorwart, „Aber Ich bin Jurist“.
„Nicht auszudenken, wenn man heutzutage…“, sagt Odinfried, „…tausende potenzielle Söhne…, aber ich bin Statiker und der hier“, er deutet auf Ramses, „der ist Statist“.
„Egal“, sage ich, „irgendeinen werdets schon auftreiben. Wir haben nur ein großes Problem… der Klimawandel!“
„Eine amerikanische Lüge, um uns abzuzocken“, sagt Thorwart.
„Nee, nee, den gibt’s wirklich“, sagt Odinfried, „nur dass wir was dagegen tun könnten, das ist eine infame Lüge der Ostküste, rein aus Profitgier.“
„Is doch wurscht, oder?“, wirft Ramses ein.
„Ist es nicht“, sage ich, „die Skigebiete wandern immer weiter nach oben. Könnte sein, dass die Gletschspalte bald taut und dann ist es aus mit dem Zeugen von Nachkommen. 50.000 in bar und wir machen eine Expedition! Torwart, Ohrenfreund, ihr könntet in die Geschichte eingehen! Der Hofer führt uns hin, aber die Uhr, die rennt!“
„Im ewigen Eis…“, sinnt Thorwart.
„Nahe den alten Göttern des Nordens“, sagt Odinfried.
„So wia da Ötzi!“, grölt Ramses.
„Mander, ’sch is Zeit!!!“, ruft der Pianischt.

To be continued...

Der Trinker würde sich selbst nie Alkoholiker nennen. Denn sein Bier schmeckt ihm nur in guter Gesellschaft. Ansonsten hält er es mit George Bernard Shaw: „Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die Normalen gebracht haben.“ Geboren tief im Süden, im Jahre Woodstock, lebt er seit bald zwanzig Jahren in Wien. Wie alle „Zuagrasten“ aus der Provinz wollte er diese hier vergessen. Nüchtern gelingt das nur schwer, trägt doch jeder seine ganz persönliche Provinz mit in die Hauptstadt, wo sie dann auf die gelebte Provinz der Wiener trifft. Erst Alkohol weicht die Grenzen auf, beseitigt Hürden der Vernunft und lässt entstehen, was eine Weltstadt ausmacht: Freiheit. Er würde sich selbst nie Alkoholiker nennen. Trinken ist für ihn ein Spiel mit der Realität, Wahnsinn auf Zeit, Eintrittskarte zu einem Schauspiel, wo Absurdes Theater nüchternen Alltag von der Bühne fegt. Wenn dann Masken und Etikette fallen, wird alles möglich und der Mensch lässt sich nicht länger verstecken. Auf die Begleitung seines Hirns muss man dort verzichten, und der Bauch spricht eine völlig andere Sprache als der Kopf. Die wichtigsten Dinge im Leben, davon ist er überzeugt, muss man fühlen, rational lassen sie sich nicht erfassen. Wie also nüchtern diese Welt betreten, mit unseren durch Jahrtausende der Zivilisation verkümmerten Sinnen? Unmöglich! Was hätte die Menschheit ohne Alkohol schon vollbracht? Es gäbe wohl nur die halbe Kunstgeschichte, wahrscheinlich die schlechtere Hälfte. Grenzen sind Illusion, das hat er erkannt, aber auch, dass Grenzenlosigkeit in die Leere führt. Sein Bier schmeckt ihm erst in guter Gesellschaft, und ist sie wirklich gut, dürfen Runden auch weit länger dauern als bis zum frühen Morgen. Künstler, Lebenskünstler, echte Wiener und andere Wahnsinnige, sie alle bevölkern seine Reise entlang dem schmalen Grat zwischen Sucht und Abstinenz.