Verein Stadttschrift
Schriften

Die Retter der Buchstaben

Donnerstag, 2. Oktober 2014
Birgit Ecker, Roland Hörmann und Christian Prochazka haben ein ausgefallenes Hobby. In ihrer Freizeit klettern sie auf Leitern und Gerüste, um nostalgische Schriftzüge vor der Entsorgung zu bewahren.
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Raoul Bruck
Mauer in der Kleinen Sperlgasse

„Wir wollen ein dezentrales, typografisches Museum im öffentlichen Raum,“ sagt Birgit Ecker, Mitbegründerin des Vereins Stadtschrift. Die junge Frau und ihr Freund Roland Hörmann haben vor ein paar Jahren begonnen, nostalgische Schriftzüge von Fassaden zu sammeln, die sonst in einem Müllcontainer landen würden. Seither kontaktieren sie zuständige Eigentümer und Hausverwaltungen, wenn sie wieder von einem bedrohten „Grätzelwahrzeichen“ hören.

„Die Liebe zu diesen Objekten war immer schon da,“ sagen sie. Das ambitionierte Pärchen gründete den Verein 2012, seit letzten Winter haben sie noch einen engagierten Mitstreiter dazu gewonnen, den Werbefachmann Christian Prochazka. „Wir haben die gleiche Vision,“ sagt er.

Seit ein paar Tagen ist diese Vision schon ein Stück Realität geworden. Der erste Standort der Stadtschriften wurde am 25. September 2014 in der Kleinen Sperlgasse in Wien-Leopoldstadt eröffnet. Ein Teil ihr Sammlung wurde dort an einer Feuermauer montiert und ziert nun das Stadtbild. Ohne das ambitionierte Trio wären diese Buchstaben wahrscheinlich unwiederbringlich auf Müllplätzen oder in Kellern verschwunden, jetzt gehören sie wieder jedem, der sie betrachten will.

Typowalk mit dem Smartphone

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Raoul Bruck
Roland Hörmann (links)

Geht es nach Ecker, Hörmann und Prochazka, werden in Zukunft noch weitere Mauern in Wien mit ihren gesammelten Schätzen verschönert. „Wir möchten mehrere Standorte in Wien, um die Schriftzüge zu präsentieren. Die Infos dazu sollen Interessierten digital auf Webseiten oder Apps zur Verfügung stehen. Man kann dann zum Beispiel einen Typowalk machen und sich von seinem Smartphone von Punkt zu Punkt leiten lassen,“ führt Prochazka aus. „Wir würden auch gerne Schriftzüge dort montieren wo sie einmal waren, also auch Geschäfte einbinden,“ ergänzt Hörmann.

Eigentlich würden die drei die Schriftzüge gerne an ihrem ursprünglichen Platz hängen lassen. „Dann müssten wir sie nicht abmontieren, zwischenlagern, eine Mauer und eine Finanzierung finden,“ erklärt Ecker. In den Wintermonaten wollen die Buchstaben-Jäger aber erst einmal kürzer treten, um im neuen Jahr wieder durchzustarten.

Hausaufgaben seien laut Prochazka bis dahin noch zu machen. „Das betrifft die Finanzierung und die Mitgliederwerbung.“ Denn trotz viel Zuspruch und großem medialen Interesse an ihrem Projekt blieben Förderzusagen der öffentlichen Hand bisher großteils aus. Die Feuermauer im Zweiten Bezirk konnte aber mit Unterstützung des Sozialdemokratischen Witschaftsverbands und der Schilder-Firma Weinwurm umgesetzt werden.

„Warum mache ich das eigentlich?“

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Ecker, Hörmann und Prochazka üben neben ihrer Vereinstätigkeit alle einen Full-Time-Job aus. In ihrer Freizeit arbeiten sie nicht nur unbezahlt als Stadtschriften-Sammler, sie tragen auch die Unkosten selbst. „Es ist mit viel Aufwand verbunden. Demontieren, abtransportieren, lagern. Das sind ja manchmal voluminöse Konstruktionen, die bis zu hundert Kilo haben können,“ erzählt Prochazka.

Bei der Lagerung der bisher rund hundert zusammengetragenen Objekte wird improvisiert. Die Gebietsbetreuung hat ihnen einen Keller zur Verfügung gestellt, der Rest ist privat untergebracht. Oft ist schnelles Handeln erforderlich. Ecker erinnert sich an den Anruf einer Hausverwaltung während ihrer Arbeitszeit. „Wir hatten gerade eine halbe Stunde Zeit, um einen Schriftzug zu holen, auf den wir schon eineinhalb Jahre gewartet hatten. Sonst hätte ihn die Baufirma entsorgt.“

Manchmal, gibt Ecker zu, frage sie sich schon: „Warum mache ich das eigentlich?“ Vor allem dann, wenn wieder mal eine Förderungsabsage eintrudelt. Doch dann fällt ihr ein, wie es war, als sie letzte Woche vor der Feuermauer in der Sperlgasse gestanden ist. „Mir wurde klar, was wir da geschafft haben, ich war richtig glücklich.“ Auch Hörmann strahlt nun über das ganze Gesicht. „Ich vergleiche das gerne mit einem Baby. Man muss es füttern, wickeln, es schreit. Und man ist völlig erschöpft. Aber plötzlich lächelt es dich an. Und in diesem Moment weiß man, warum man das alles gemacht hat.“

Stadtschrift – Verein zur Sammlung, Bewahrung und Dokumentation historischer Fassadenbeschriftungen

www.stadtschrift.at

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