Weltmeisterschaft im Wegschauen

Pogba, Mbappé, Dembélé, Fekir, Kanté, Matuidi, Tolisso, Kimpembe, Mandanda, Mendy, Sidibé, Nzonzi. Nein, das ist nicht die erste Lektion in Kisuaheli. Das sind die Namen von Fußballspielern der französischen Nationalmannschaft. L’Equipe Tricolore erreichte dank der Hilfe all jener Menschen mit Migrationshintergrund als erstes Team das Finale der Weltmeisterschaft, zu dem sie am Tag nach dem französischen Nationalfeiertag in Moskau antreten wird.

Samuel Umtiti, vor 24 Jahren in Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns, geboren, erzielte im Semifinale das Siegestor gegen Belgien. Damit zerstörte er unter anderem einen Lebenstraum von Romelu Lukaku, der als Sohn kongolesischer Einwanderer in den Scherben eines slum-ähnlichen Viertels von Antwerpen aufgewachsen war. Er hatte sich als kleiner Bub schon vorgenommen, Weltmeister zu werden. Lukaku hat es immerhin geschafft, dem Elend zu entfliehen. Wie alle anderen Kinder von Einwanderern, die an dieser WM teilgenommen haben. Viele von Ihnen genießen jetzt Heldenstatus in jenem Land, in das ihre Großeltern, ihre Eltern oder sie selbst einst geflohen sind.

Doch wehe sie versagen! Nach dem überraschenden Scheitern des regierenden Weltmeisters Deutschland sind aus gewissen AFD-Kreisen bereits Stimmen zu hören, die eine reinrassige Nationalmannschaft fordern. Abscheuliche Polemik, grenzenlose Dummheit oder beides?

Beides. Doch zynisch ist das Fußballgeschäft auch ganz ohne diese verbalen Brauntöne. Cristiano Ronaldo, der soeben von Real Madrid zu Juventus Turin wechselte, verdient 21 Millionen Euro im Jahr. Das ist etwa so viel wie 15.000 von jenen Zuschauern, die ihm im Stadion zujubeln. Doch Ronaldo soll hier nicht als Sündenbock herhalten: Der Fußball-Narziss Nummer 1 ist ein sozialer Mensch und spendet einen guten Teil seiner Gage für wohltätige Zwecke. So wie viele andere Superstars auch.

Fußball war schon immer das verzerrte Spiegelbild unserer Gesellschaft. Während der viereinhalb WM-Wochen sind rund 1000 Menschen, die sich auf der Flucht befanden, im Mittelmeer ertrunken. Sicher hatten viele von diesen Namenlosen den Traum, so zu werden wie Romelu Lukako, wie Kylian Mbappé oder wie Dele Alli, der das englische Team per Kopfball erstmals seit 1990 in ein WM-Semifinale beförderte. Für den Sohn eines Nigerianers und einer Engländerin bedeutete der Fußball die einzige Fluchtmöglichkeit aus seinem trostlosen Milieu.

Manche dieser Spieler schweigen. Andere äußern in seltenen Interviews ihre Wut über die Ungerechtigkeit dieser Welt. Die FIFA sieht sich als Brückenbauer, bekämpft Rassismus, bestraft aber politische Äußerungen von Spielern. Und sie hat noch kein taugliches Mittel gefunden, jenen zu helfen, die den Sprung nach oben eben nicht schaffen. Und das sind viele. Unendlich viele.

Mag sein, dass auch einer jener Fußball-Buben, die soeben aus einer Höhle in Thailand gerettet wurden, irgendwann Weltfußballer des Jahres wird. Die Medienwelt blickte jedenfalls gebannt auf die spektakuläre Rettungsaktion. Ganz so, als hätte es sich ausschließlich um Ronaldos gehandelt. Gleichzeitig ertranken Kinder ihres Alters, deren Rettung erschwert bis verhindert wurde, im Mittelmeer. Schuld daran ist nicht der Fußball, sondern die Politik, die in gar nicht so weit davon entfernten europäischen Hauptstädten gemacht wird. Eine Fußball-Weltmeisterschaft erleichtert uns nur das Wegschauen.