Tweet Ride
Tweet Ride, by Marliese Mendel
Marliese Mendel
Tweed Ride

Rad-Flaniererei

Montag, 27. Oktober 2014
Ein Mann in Tweedhosen auf einem Hochrad, ein Paar in historischen Kostümen auf einem Tandem aus den 30-er Jahren und Frauen in schicken Kleidern mit liebevoll restaurierten Fahrrädern treffen sich in der Hofburg zum Tweed Ride. Vor 140 Jahren wäre das undenkbar gewesen.

Das Aufsteigen auf das 150 Zentimeter hohe Hochrad muss geübt sein. Sebastian setzt einen Fuß auf ein kleines Trittraster, schwingt sich hoch, greift nach dem Lenker und landet sanft am Sitz. Sofort tritt er in die Pedale, die direkt am Vorderrad angebracht sind. „Wenn man einmal drauf ist geht es schon“, sagt Sebastian. „Man kann sich nicht in die Kurve legen, Bremsen funktioniert nur durch das Gegentreten der Pedale“. Er wankt kurz. Dann fährt er durch die Hofburg.

Dass wäre vor rund 140 Jahren undenkbar gewesen. Die damalige Stadtregierung hatte das Hochradfahren verboten. Zu gefährlich. Zu viele hochrangige Herren hatten sich schwer verletzt. Einige erboste Fußgänger warfen den Hochradfahrern sogar Steine und Holzstäbe zwischen die Speichen.

Sebastian probierte das Hochradfahren beim Fahrradfestival am Rathausplatz aus, war begeistert und bestellte eines bei der Firma Mesicek in Tschechien. 18 Monate wartete er auf das nach Originalplänen von 1885 gebaute Hochrad. Jetzt fährt er beim Tweed Ride in Wien mit.

Tweed Ride

Die Idee des Tweed Rides entstand vor fünf Jahren in England. Im klassischen britischen Outfit fährt man auf Vintage-Rädern. Einer der Wiener Organisatoren, Lukas, war auf einem Tweed Ride in London und dachte sich, „so was braucht Wien auch.“ Gemeinsam mit David, Fahrradaffictionados und der Radlobby veranstalteten sie vor zwei Jahren den ersten Tweed Ride. 120 Leute kamen. Seither radeln sie dreimal pro Jahr in stylischen Tweed-Jacken, Knickerbocker und schönen Kleidern großteils auf Vintage-Rädern durch die Innenstadt. Das wäre in der Monarchie unmöglich gewesen.

Die Wiener Stadtverwaltung erließ 1885 eine Verordnung, die das Radfahren nebeneinander oder in Gruppen verbot. Zwischen den Radlern waren zwanzig Meter Abstand einzuhalten. Erst eine Beschwerde des „Deutschen Radfahrerverbunds in Wien“ (1887) brachte Erleichterungen.

Britische Coolness

Die rund einhundert Tweed Rider halten sich selbstverständlich an die heutige Straßenverkehrsordnung. Werden sie von Autofahrern angehupt, klingeln sie freundlich zurück. Brüllt sie ein Wiener Spaziergänger an, grüßen sie herzlich durch ein kurzes Antippen des Kapperls zurück. Britische Coolness eben. Die meisten Passanten sind aber begeistert.

David gefällt es mit vordergründig nicht passender Kleidung auf Fahrrädern zu fahren. „Eigentlich ist es ein Paradoxon. Genauer betrachtet ist aber Tweed der Vorläufer von Goretex-Stoffen. Tweed ist eine Jagd- und Sportbekleidung, eine Tweed-Jacke ist nachhaltiger als eine Goretex-Jacke. Es ist auch eine Frage des Stils: „Will man kanarienbunt durch die Gegend laufen oder doch etwas nachhaltiger und slower unterwegs sein?" Für Lukas ist Tweed der Ausdruck von britischem Lebensstil und passt perfekt zum Fahrradflanieren.

James Bond in Form von Nick Knatterton

Isabella (Gwandleichen) schneidert sich ihr eigenes Outfit, Ronnie trägt einen Anzug, den er vom Großvater geerbt hat. „Dr. John Sinclaire“ hat sich den Anzug schneidern lassen und trägt das passende Kapperl genau so gern im normalen Leben. Auch als er Nina zum ersten Date traf. Sie dachte sich: „Cooler Typ, cooles Kapperl. James Bond in Form von Nick Knatterton.“

Johannes fand das perfekte Fahrrad auf einem Flohmarkt in Tulln: ein Tandem aus den 30er Jahren. Liebevoll renovierte er es einen Winter lang in seinem eiskalten Keller. Toni und Janet radeln auf einem italienischen Klapptandem aus den 70er-Jahren mit. Für Janet ist es wie Spielen für Erwachsene an der frischen Luft.

Versorgt werden die Radler mit Swingmusik vom Soundbike, mit Kaffee von einem solarbetriebenen Caferad und mit vegetarischen Essen von Wiens ersten Fahrrad-Lieferdienst für Mittagsmenüs Rita bringt's.

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