Todessturz aus dem Lift
Todessturz aus dem Lift, by Illustrierte Kronen Zeitung 1906
Rezension

Kulturgeschichte des Aufzugs

Samstag, 28. Juli 2018
Der Stadtforscher Peter Payer erforscht in seinem neuen Buch"Auf und Ab" die Kulturgeschichte des Aufzugs in Wien. Eine charmante Aufarbeitung einer bisher vernachlässigten Technikgeschichte.

Steht man heute vor einem Aufzug, hat man meist nur drei „liftbezogene“ Fragen. Funktioniert er? Bleibt er stecken? Steigt der redselige Nachbar mit ein? Ganz anders war das bei den ersten Liften um 1900. Zeitungen berichteten von schweren Liftunfällen. Benützer_innen mussten Aufzugfahren und Verhalten im Lift erst erlernen, neue Erfahrungen, dass Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten auf engsten Raum zusammengepfercht sind, verarbeiten. Fahrstuhlfahrer*innen waren stetig auf der Suche nach dem Aufzugswärter_innen oder Hausbesorger_innen, denn nur sie durften den Lift bedienen – gegen Trinkgeld natürlich.

Der Spezialist für ungeschriebene Geschichte, Peter Payer, erforschte schon die Gerüche, Geschmäcker und „Lärmseuchen“ sowie die „Chronometerisierung“ Wiens. In seinem neuen Buch „Auf und Ab“ (erschienen bei Brandstätter) schreibt er die Kulturgeschichte des Aufzugs in Wien.

Kleine Salons

Schon in der Barockzeit gab es Lasten-- und Personenaufzüge. Für die beleibte Regentin Maria Theresia wurde im Jahr 1772 im Schloss Schönbrunn ein Lift eingebaut, ausgestattet mit einem Sofa, betrieben durch reine Muskelkraft. Im Jahr 1869 ließ Baron Johann von Liebig eine Hebemaschine in sein Palais in der Wipplingerstraße einbauen. Im Jahr darauf eröffnete das Grand Hotel am Kärntner Ring und zu der technischen Ausstattung gehörte neben Sprachrohr, Telegraph auch ein hydraulischer Personenaufzug. Die Zeitungen überschlugen sich vor Begeisterung, endlich eine Möglichkeit für „alle Feinde des Treppensteigens“ in das Gemach „hinaufgewunden“ zu werden. In nur 55 Sekunden erreichten Fußfaule den vierten Stock.

Auch andere Hotels ließen Dampf-Aufzüge einbauen, diese mussten aber teilweise wieder stillgelegt werden, weil es an Wasser mangelte. Erst mit der Ersten Hochquellenwasserleitung gab es genügend Wasser und nun wurden immer öfter Aufzüge in Häusern eingebaut. Im Jahr 1900 gab es 412 Personenlifte in Wien, 1913 bereits über 2.500. Ab 1890 wurden Aufzüge mittels Elektrizität betrieben, aber das Stromnetz war nicht in allen Bezirken gleich ausgebaut. So mussten im Bezirk Margareten die Menschen weiterhin Stiegen steigen, während in der Innenstadt die Bewohner_innen in „kleinen Salons“ in Höhe schwebten. Im Jahr 1901 schlug ein Zeitgenosse in seinem Hohelied auf den Lift sogar vor, die „Entdecker“ des Fahrstuhls zu den „Wohltätern der Menschheit zu zählen“. Aber es wäre nicht Wien, hätte es nicht auch Liftgegner_innen gegeben. Die Käufer_innen in Kaufhäusern mussten erst beruhigt werden, bevor sie die Fahrstühle betraten. Der Architekt Otto Wagner baute weiterhin lieber große Treppenanlagen, bis er im Jahr 1906 seine Meinung änderte. Im von ihm geplanten Postsparkassengebäude wurden gleich mehrere Aufzüge eingebaut.

Aufzugskrankheit und Todesstürze

Die zunehmende Zahl von Aufzügen in der Hauptstadt löste Unterschiedliches aus. Der Gesetzgeber regelte den Einbau von Liften, 1899 trat das Aufzugsgesetz in Kraft. Es wurden Statistiken erhoben, im Wiener Rathaus fuhren im Jahr 1888 rund 247.000 Menschen in den beiden Personenzügen 69.000 mal aufwärts und 4.100 mal abwärts. Ärzte diagnostizierten eine neue Krankheit, die „Aufzugskrankheit“: durch vertikale Bewegung und plötzliches Anhalten der Kabine würden die inneren Organe reagieren und „Übelkeit im Kopf, Magen und sogar Brechreiz hervorrufen.“ Ärzte empfahlen Rücken, Schultern und Kopf an Wänden oder Sitzen anzulehnen. Kriminalschriftssteller_innen entdeckten den Lift als Tatort und platzierten Leichen in Aufzügen. Autoren von Benimmregel-Bücher nahmen das richtige Verhalten in Liften in ihre Publikationen auf: Kinder dürfen nur in Begleitung von Erwachsenen mitfahren, während der Fahrt darf weder ein- noch ausgestiegen werden, es herrscht Rauchverbot, aber das Schosshündchen kann mitgenommen werden. Und Zeitungen berichteten von „Todesstürzen aus dem Lift.“ Die Behörden reagierten auf die Unglücke mit einem verdichteten Überprüfungsintervall der Anlagen.

Die soziale Frage im Lift

Durch den stetigen Einbau von Aufzügen in Wohngebäuden kam es auch zu einer sozialen Verschiebung. Hatten bisher Dienstbot_innen in den oberen Stockwerken gelebt, waren durch enge Stiegenhäuser zu ihren Wohnungen hinaufgestiegen, änderte sich das mit den Fahrstühlen. Jetzt, bequem erreichbar, zogen die Reichen nach oben – auch weil dort die Luft besser und die Aussicht schöner war (ist). Durch die stetige Verbesserung der Technik der Liftanlagen und auch mit sinkenden Kosten des Einbaus und des Betriebes, konnten immer mehr Hochhäuser gebaut werden, immer mehr Menschen in einen Haus leben. Der Lift half so bei der Bewältigung der Raumknappheit, führte aber auch zur Steigerung der Bequemlichkeit.

Die Stadt wuchs himmelwärts, mit ihr die Zahl der Lifte und auch die behördlichen Vorschriften. Die Anlagen mussten mit der Aufschrift Fahrstuhl oder Aufzug versehen werden, Benützungsvorschriften gut sichtbar aufgehängt werden, den Lift durfte nur eine eigens dazu befugte Person bedienen. Erst mit der Erfindung der Druckknopfsteuerung um 1900 konnten die Fahrgäste den Aufzug autonom steuern.

In den 1950er und 1960er Jahren setzte ein wahrer Liftboom ein. Kaum ein Haus mit mehreren Stockwerken wurde ohne Aufzug errichtet. Das Design der Kabinen wurde aber spartanischer. Waren die Kabinen um die Jahrhundertwende noch kleine Salons mit Plüschsofas gewesen, waren es nun kahle Stahlkabinen. Eine Ausführung, die bis heute gebaut wird. Seelenloser und enger, aber dafür schneller, mit Nachbarliften und dem Notruf vernetzt.

Peter Payer
Auf und Ab
Eine Kulturgeschichte des Aufzugs in Wien
Erschienen bei Brandstätter,
ISBN978-3-7106-0198-9
200 Seiten, 150 Abbildungen
34,90 Euro

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