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christian.jpg, by Andras Borgo
András Borgó
Porträt

„Musik rettet mich“

Freitag, 5. Juni 2015
Der Tiroler Christian Reimeir (40) komponiert zeitgenössische Musik. Im Gespräch mit dieZeitschrift verrät er, warum er mit 24 noch keine einzige Note lesen konnte und weshalb ihn seine Kunst „rettet“.

Am Anfang stand der Synthesizer eines Freundes: „Ich begann sofort darauf zu spielen und er fragte mich: ,Warum kannst du das?’ Und ich sagte: ,Kannst du das denn nicht?’“ 17 Jahre war Christian Reimeir damals alt und eigentlich vor allem technisch interessiert. Doch durch diese erste Berührung mit einem Instrument kam die Musik in sein Leben: „Wie ein Schalter, den man eingeschaltet hat, buchstäblich.“

Exot im 3000-Seelen-Dorf

Christian Reimeir
Alice Gschwenter

Was folgte, war freilich alles andere als einfach. Von der Familie – der Vater war Kaufmann – und den Menschen in seinem Tiroler Heimatort Steinach am Brenner erntete er zunächst vor allem Unverständnis: „Ich war der Exot im Dorf“, erinnert sich Reimeir heute. Das erste Klavier finanzierte er sich selber, Unterricht gab es keinen, dafür stundenlanges Musizieren in Eigenregie.

Nach der HTL für -Nachrichtentechnik studierte Reimeir denn auch in Innsbruck zunächst einige Semester Mathematik und Physik. Bereut hat er das nicht: „Ich bin nicht in erster Linie Vollblutmusiker, meine Interessen sind breit gefächert und das ist auch gut so.“ Zudem, so findet er, hätten Musik und Mathematik gar nicht so wenig gemeinsam, schließlich bewegten sich auch die Takte in einem Zahlenkorsett.

Irgendwann siegte aber doch die musikalische Begabung. Eines Tages spielte Reimeir seine selbstkomponierten Stücke im Konservatorium in Innsbruck vor – und wechselte die Hochschule. Um sein Kompositionsstudium zu absolvieren, musste er allerdings zuerst einmal Noten lernen – die Professoren konnten das zunächst kaum glauben.

Heute verbringt Reimeir das, was er „mein Bohemien-Leben“ nennt, meist in Wien. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich neben den Kompositionen mit EDV-Dienstleistungen. Die Stücke des Wahlwieners entstehen dabei in der Regel am Klavier in seiner Altbauwohnung im 5. Bezirk: „Oft spiele ich einfach darauf herum, bis eine Keimzelle entsteht, die so gut ist, dass ich darauf aufbauen kann“, erzählt der Mann mit der Beethoven-Frisur.

Bislang waren Reimeirs Kompositionen unter anderem bei den Klangspuren Schwaz 2011 („phen-ix“, interpretiert vom spanischen Klaviertrio „Arbós“) sowie beim Konzert des Pianisten Gottlieb Wallisch in Ljubljana (2013) zu hören. Heuer wurden zwei neue Stücke in Wien („x-perient“, für Violoncello und Klavier) und Athen ( „voyage in2“, für Tenorblockflöte) uraufgeführt. 2010 erhielt der Tiroler den „Kompositionspreis der Stadt Innsbruck“.

„Erfrischende Unbefangenheit“

Christian Reimeir
Christian Reimeir

Sein früherer Hochschulprofessor Martin Lichtfuss beschreibt den musikalischen Stil seines einstigen Schülers so: „Der ursprüngliche Ausgangspunkt seiner musikalischen Phantasie lag in der spätromantisch-impressionistischen Klangwelt Skriabins, dessen manischer Ausdrucksfanatismus auch für Reimeir den entscheidenden schöpferischen Impuls bildet. Wenn er den Einstieg in die schulische Musikausbildung am Konservatorium erst relativ spät vollzog, so konnte er sich dadurch eine erfrischende Unbefangenheit gegenüber etablierten Werten und Lehren erhalten.“

Reimeir selbst bezeichnet seine, in der Regel atonale, Musik ebenfalls als „von der Spätromantik inspiriert“. Denn: „Der spätromantische Stil ist prädestiniert für große Gesten und Emotionen. Das hilft mir, meine eigenen Gefühle in die Musik zu legen.“

Da wundert es auch nicht, dass die meisten seiner Stücke Frauen gewidmet sind („Da ist allerdings auch meine Oma dabei“). Doch es sind nicht allein erwiderte und enttäuschte Gefühle für Frauen, die er in seine Stücke packt. „Die Musik ist eins zu eins verbunden mit meinem ganzen Leben. Auch deshalb ist es gut, nicht mit Scheuklappen herumzulaufen“, betont Reimeir.

Die eigenen Emotionen seien beim Komponieren das Wichtigste, erst dann kämen Applaus und Publikum: „Sicherlich braucht man das auch, aber beim Schaffensprozess spielt der Geschmack anderer bei mir gar keine Rolle“, sagt Reimeir dazu. Zudem habe er gelernt, bei übergroßem Lob und übergroßer Kritik gleichermaßen skeptisch zu sein: „Beides hat meist nicht viel mit der Wahrheit zu tun. Konstruktive Kritik ist aber immer hilfreich und regt zur Entwicklung an.“

Halt, Struktur und Sinn

Wohin ihn seine musikalische Reise noch führt, kann der 40-Jährige nicht sagen, denn: „Meine Musik ist so unfertig wie mein Leben.“ Doch eines weiß Reimeir bestimmt: „Ich brauch´die Musik und das Komponieren. Ich bin nicht religiös oder spirituell. Hätte ich die Musik nicht, würde ich nicht wissen, was ich tun soll auf der Welt. Musik gibt mir Halt, Struktur und Sinn. Musik rettet mich.“

www.komponist-reimeir.at

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