Erster Mai
Erster Mai, by Marie
Wien

1. Mai

Sonntag, 1. Mai 2016
Bundeskanzler Werner Faymann wird ausgebuht, Bürgermeister Michael Häupl wird applaudiert und ÖGB-Präsident Erich Foglar wird kurz ausgebuht und lange applaudiert.

Der Ring ist leer. Es ziehen keine Menschenmassen zum Rathausplatz. Vorbei sind die Zeiten, als 10.000e am „Tag der Arbeit“ aus den Bezirken in die Innenstadt zogen.

Vor der Oper stehen Grüppchen hinter Plakaten, die fordern Grenzen einzureißen und den Kapitalismus zu stürzen. Die KPÖ-Margareten zieht vorbei, angeführt von Bezirksrat Wolf Jurians, gefolgt von Transparenten mit der Aufschrift „Haltet die Hoferburg rein“, begleitet von vier Motorradfahrern des Clubs die „kuhle Wampe“ und dem Banner „Bunt ist schön“.

Drei amerikanische Touristen wundern sich. Sie schauen auf den leeren Ring, auf ein querstehendes Polizeiauto, die vorbeiziehenden Kommunisten. Einer der Touristen fragt, „is this a protest“. „Nein, das ist der 1. Mai“ antwortet der angesprochene Passant auf Deutsch, „Tag der Arbeit“. „They seriously closing off this big street for twenty protesters“ sagt der Amerikaner.

Bei der U3-Station bauen linke Gruppierungen ihre Tische auf. Neben dem Würstelstand spielen die Unabhängigen Gewerkschaften im ÖGB Arbeiter_innenlieder, gegenüber stellen die Marxisten ihre Bücher aus. Bis zum Rathausplatz buhlen die Gegner von Atomkraft, des politischen Systems im Iran, die Linkswende mit „FPÖ raus! Flüchtlinge rein“ um die Aufmerksamkeit der wenigen Passanten. „Sind eh alles nur Touristen“, sagt einer der Marxisten.

Am Rathausplatz

Die Platzsprecherin am Rathausplatz wiederholt Wahlkampfparolen, preist Wien als die lebenswerteste Stadt der Welt an. "Dies wäre nicht möglich, gäbe es die Sozialdemokraten nicht", tönt es über den mäßig gefüllten Platz. SPÖler_innen tragen Schilder mit der Aufschrift "Werner, der Kurs stimmt!". Über den Ring ziehen Vertreter_innen der Wiener Gebietskrankenkassa, der AUVA sowie die Ortsgruppe Favoriten und zwei Blaskapellen. Die Platzsprecherin kündigt deren Ankunft am Rathausplatz an. Verhaltener Applaus. In den Reihen hinter den Journalist_innen herrscht plötzlich Gedränge. Junge Sozialdemokrat_innen gruppieren sich. Auf ihren Westen kleben Pickerl mit der Aufschrift #teamhaltung und sie tragen Schilder, die den Rücktritt Faymanns und „Parteitag jetzt“ fordern. Banner gehen hoch: „Obergrenze für Wahlniederlagen! Faymann Rücktritt jetzt“. Mitten drin ein handgeschriebenes Lob: „Freundschaft. Danke SPÖ, ihr macht den besten Job der Welt“. Daneben heben Teilnehmer_innen ein rotes Spruchband in die Höhe: „Nein zum Strache-Hofer-Kurs, Ja zum Faymann-Häupl-Kurs“.

Der Bundeskanzler

Die Rede des Bundeskanzlers Werner Faymann wird angekündigt, Schilder gehen hoch: „Obergrenzen fürs Kapital, nicht für Menschen“, ein Kartonboot mit der Aufschrift „Solidarität“ wiegt über der Menge. Ein Pensionist regt sich auf, man solle den Mann doch sprechen lassen. Faymann schreit ins Mikro, die Pfuirufe werden lauter. Vereinzelter Applaus. Er ruft auf aufzustehen um für eine Welt zu kämpfen, in der das Gemeinsame stärker ist als das Trennende. Faymann wird beschimpft, ein Demonstrant wirft ihm vor „das vereinte Europa zerstört zu haben.“ Die Genoss_innen winken dem Bundeskanzler mit roten Tüchern und applaudieren ihm demonstrativ.

Der Bürgermeister

Bürgermeister Michael Häupls Auftritt wird von tosendem Applaus begleitet, er sagt, dass „es unzählige inhaltliche Gründe gibt, keine Regierungszusammenarbeit mit der Freiheitlichen Partei anzustreben“ – Applaus, Jubel – dass Wien sich sehr wohl um Flüchtlinge kümmert – Applaus – ein Zwischenrufer schreit unverständliches, Häupl sagt: „plärr net umadum, hör ma zua“ - Gelächter. Zum Schluss gibt er eine klare Wahlempfehlung ab: „Ich kann mir schon vorstellen, dass es den einen oder anderen gibt, der den Professor Van der Bellen nicht besonders liebt, das ist kein Kriterium, (…). „Denn wenn wir nicht wollen, dass jemand, der ein gestörtes Verhältnis zur Heimat Österreich hat und der die Europäische Union ablehnt, (…) kann nicht gewählt werden. Es ist mit den Werten der Sozialdemokratie vollkommen unvereinbar.“ Tosender Applaus, Jubelrufe.

Der ÖGB-Präsident und die SPÖ-Frauenvorsitzende

ÖGB-Präsident Erich Foglar wird kurz ausgepfiffen, greift dann gewerkschaftliche Kernthemen wie Arbeitszeitverkürzung, Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit, Forderungen nach verstärkten Wohnungsbau zur Ankurbelung der Wirtschaft auf und erhält dafür Applaus. Die letzte Rednerin ist die Vorsitzende der SPÖ-Frauen Renate Brauner. Sie streicht heraus, dass es in Wien, die europaweit einzigartigen, Einrichtungen wie Frauenhäuser und den Frauennotruf gibt, dass man in Wien Vorreiter sei beim Thema Gewaltprävention gegen Frauen. Das Thema dürfe nicht von den „Heuchlern“, die sich jahrelang über Schutzmaßnahmen und Gesetze für Frauen lustig gemacht hätten und nun so tun als seien sie Frauenrechtler, missbraucht werden.

KPÖ

Vor der Burg warten schon die Arbeiter mit den Bierbänken, am Ottakringerstand drängen sich die Durstigen und vom Ring her, hört man Trommeln. Vor dem Parlament sammeln sich „Die Linke“, die „Junge Linke“, die KPÖ. Das Motto ihres 1. Mai 2016 ist „Geht's den Flüchtlingen gut, geht’s uns allen gut!“. Die Redner_innen sprechen von solidarischer Politik, prangern erwartungsgemäß den Kapitalismus an und hoffen, dass der Einigungsprozess unter den Linken gelingen wird. Nur so könne man den drohenden Rechtsruck aufhalten.

Wolf Jurians hält das „Volksstimme“-Banner hoch, die amerikanischen Touristen wundern sich über die roten Sterne vor dem Parlament, ein Vater hat den Kinderwagen mit einer Che Guevara Flagge verhängt, deutet auf das Baby und lacht: „Es ist sein erster 1. Mai“. Ob dieser der Tag wird, an dem man sich in Zukunft an das „Ende der Sozialdemokraten“ oder als Beginn der „neuen Sozialdemokratie“ erinnern wird, werden wohl die nächsten Monate zeigen.

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