Fitnesswunder, Teil 2

Vom Ammenmärchen des anstrengenden Schachspiels. Trotz des aufrichtigen Versuchs, dieses Ergebnis herbeizuschreiben, taugt das Hölzlschieben nicht zur neuen Wunderdiät.

Jüngst wurde an dieser Stelle überzeugend nachgewiesen, dass ein kraftstrotzender, temperamentvoller, hochkonzentrierter Schachspieler in einer fünfstündigen Turnierpartie bis zu 1200 kcal (Kilokalorien) verbrennt. Dabei wurde zugegebenermaßen das untergewichtige, phlegmatisch bewegungslos verharrende und nicht groß nachdenkende Gegenbeispiel, dessen Partie in der Folge höchstens zwei Stunden dauert, ausgeblendet – so ein Spartaner verbraucht womöglich nur 150 kcal (kein Witz!) in einem Match und ist damit für die hier angestrebte Beweisführung gänzlich unbrauchbar. Satte 1200 kcal also, bleiben wir bei diesem durchaus beeindruckenden Wert für eine einzige Schachpartie.

Überraschung! Viel mehr Energie setzt ein Fußballspieler während eines Matches auch nicht um. Der Vergleich hat nur leider einen Schönheitsfehler, denn er stellt fünf Stunden Betätigung (mit allen unwillkürlichen Körpertätigkeiten, die dazu gehören) nur zweien gegenüber. Man könnte auch sagen, der Fußballspieler hat soeben drei Stunden Lebenszeit gewonnen. Zum Marathonläufer fehlt dem Schachspieler noch viel mehr: Für die 42,195-Kilometer Strecke benötigt man mehr als doppelt so viel Energie wie in der obigen, optimalen Schachsportler-Berechnung – und das ebenfalls in kürzerer Zeit.

Die Mär vom schweißtreibenden Schachspiel gehört demnach beim besten Willen ins Reich der Wunschphantasien. Was außerdem noch gerne übersehen wird, wenn man ein Brett vorm Kopf hat: Das Hirn ernährt sich ausschließlich von Glucose, vulgo Traubenzucker. Dabei jedoch greift der Körper nicht etwa auf die gut abgelegten Fettpölsterchen zurück. Sind dann die schnell verfügbaren Glucose-Reserven nach langen Nachdenkphasen erst einmal dezimiert, folgen unweigerlich Heißhungerattacken. Viel Denkarbeit macht wegen des Drangs, die danach leeren Zuckerspeicher wieder aufzufüllen, somit paradoxerweise eher dick. Dieses Phänomen ist – neben der mangelnden Bewegung – ein Mitgrund dafür, wieso in unserer Informationsgesellschaft die Menschen immer blader werden.

Wenn also der Winterspeck jetzt weg soll, damit man bei endlich schönem Wetter auch wieder in die Badesachen passt – Schach alleine hilft nicht, zusätzliches Joggen ist angesagt. Einen großen Vorteil hat das Brettspiel freilich: Es macht wesentlich mehr Spaß.

Filmkritik: „Bauernopfer“

Das sollten Kinobesuche (die abnehmtechnisch ebenfalls eher kontraproduktiv sind) auch. Seit Anfang Mai läuft Bauernopfer – Spiel der Könige in Österreich. Ich räume ein, ich war dem bereits zwei Jahre alten US-Film gegenüber sehr skeptisch eingestellt: Schachfilme sind selten gut, und wenn sie dann noch einen derart banalen Titel tragen… Erfreulicherweise muss ich meine Meinung korrigieren. Der Streifen rund um den WM-Kampf Bobby Fischer vs. Boris Spasski von 1972 ist ganz ordentlich gemacht, der Schachanteil auch für Nichtspieler im Rahmen, die Dramatik einer mitreißenden Partie in einigen Szenen gekonnt eingefangen. Dazu kommt der heraufdräuende Wahnsinn des charismatischen Protagonisten, der von Hollywood-Star Tobey Maguire verkörpert wird – vom Spiderman zum Schachweltmeister, das will schon was heißen. Nett sind auch die stellenweise eingesetzte körnige Optik der 70er-Jahre sowie der Soundtrack, der mitunter chronologisch zu früh angesetzt, dafür durchaus mitreißend ist (einem der großartigsten Instrumentalstücke aller Zeiten, Walk Don’t Run von The Ventures sei hier separat die Ehre gegeben).

Vieles ist natürlich überdramatisiert, und insofern verwundert es ein wenig, dass die Sowjets gar nicht so übel wegkommen. Den 2008 gestorbenen Bobby Fischer kann man um seine Meinung zum Film nicht mehr fragen (freilich unwahrscheinlich, dass er dem Exzentriker gefallen hätte), und Boris Spasski ließ in einem interessanten Interview auch kein gutes Haar daran. Meiner Meinung nach kann man die zwei Stunden durchaus investieren.