Helen Fischer
Wissenschaftsmagazin

Journalismuslabor

Dienstag, 27. Januar 2015
Anfangs war 2013 kein gutes Jahr für die Wissenschaftsjournalisten Georg Dahm und Denis Dilba. Die deutsche Ausgabe von New Scientist wurde eingestellt und sie verloren ihre Jobs und ihr Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit von Verlagshäusern. Statt zu jammern gründeten sie ihr eigenes Wissenschaftsmagazin: Substanzmagazin.de.

Eine Zeitungsnotiz am 2. April 2013 erschreckte die beiden Wissenschaftsjournalisten Georg Dahm und Denis Dilba. Im Hamburger Abendblatt stand zu lesen, dass die Deutschlandausgabe des britischen Wissenschaftsmagazins New Scientist eingestellt wird. Jenes Magazin, bei dem beide arbeiteten. Georg erst seit einem Tag, Denis seit sechs Monaten. Georg war von der im Dezember 2012 geschlossenen Financial Times Deutschland zum New Scientist gewechselt. „Zwei Schließungserfahrungen innerhalb fünf Monaten, das war heftig“, sagt Georg, „Da haben wir schon an der Zukunftsfähigkeit der deutschen Verlage gezweifelt.“ Also beschlossen sie selbst ein Wissenschaftsmagazin zu publizieren. Und zwar nur digital. Sie nannten es Substanzmagazin.de und nahmen sich Großes vor: es sollte nicht nur ein Magazin werden, sondern ein Labor, in dem jeden Freitag eine „Wundertüte“ neu befüllt wird. Sie starteten eine Crowdfunding-Kampagne, suchten Expertenrat und engagierte Journalisten.

Im November 2013 ging das erste digitale Wissenschaftsmagazin Deutschlands online. Optisch ansprechend, aber ohne Design-Schnickschnack erzählt Substanz vom vermeintlichen Übeltäter Weizen, der süchtig, dick und dement machen soll. Von der US-Haushaltssperre, die fast die gesamte amerikanische Antarktis-Forschung ruiniert hätte und hunderte Nachwuchsforschern ihre Jobs kostete. Und warum ein Forscher beim Anblick des Arsches einer Zikade verzweifelt. Geschichten fern ab vom Mainstream, von Schlagzeilen-Journalismus und den Laien überfordernden Wissenschaftsartikeln. Ohne Klick-Baits. Für neun Euro pro Monat.

dieZeitschrift hat mit Georg über Herausforderungen, Bezahlschranken und „gelutschte Drops“ gesprochen.

Interview

Zu den Personen:

Denis Dilba studierte Mechatronik in Hamburg und Singapur, absolvierte die Deutsche Journalistenschule, gründete das Redaktionsbüro elbe03, schrieb als freier Wissenschaftsautor für Titel wie den Stern, Spiegel, den *Standard und die Berliner Zeitung.

Georg Dahm studierte in Hamburg Anthropologie mit Nebenfächern Soziologie und Philosophie, schrieb für National Geographic Deutschland, volontierte bei der Bild. Er war Chefredakteur der hamburger wirtschaft und arbeitete dann für die Financial Times Deutschland und ihre Schwestertitel Capital, Impulse und Business Punk.

dieZeitschrift.at: Was waren die größten Herausforderungen bei der Gründung von substanzmagazin.de?
Georg Dahm: Vor allem, auf einmal Unternehmer zu sein. Als angestellter Redakteur kümmert man sich ja nicht um das Geschäftliche, jetzt müssen wir alles selbst machen, da werden die Arbeitstage schon extrem lang. Und wir mussten das alles ja auch erst mal lernen: Was kostet eine Firmengründung, wie erstellt man einen Businessplan, welche Kompetenzen haben wir selbst und welche müssen wir zukaufen, wie wollen wir das Marketing aufziehen und wie finanzieren wir das alles?

Wir sind darum sehr früh zu einer Gründerberatung gegangen, mit der wir immer sehr intensiv zusammen gearbeitet haben. Dann musst du das Geld zusammenbekommen, wir haben ja nicht nur unsere Ersparnisse in das Projekt gesteckt, sondern auch noch eine Crowdfunding-Kampagne durchgezogen und einen Gründerkredit beantragt. Auch das war sehr aufwendig und zeitintensiv. Das machst du nur, wenn du von deiner Idee überzeugt bist.

Eine sehr große Herausforderung war dann auch die technische Entwicklung des Magazins. Wie schaffen wir uns ein System, mit dem wir jede Woche das Magazin produzieren können, das wir uns vorstellen? Und zwar so, dass wir das auf Dauer bezahlen und einen alltagstauglichen Work-flow hinbekommen?

Forschungsfragen

dieZeitschrift.at: Was sind die Herausforderungen im Wissenschaftsjournalismus?
Georg Dahm: Wissenschaft ist bei den Lesern extrem beliebt – und trotzdem meistens das erste Ressort, bei dem gespart wird. Wissenschaftsgeschichten sind teuer und in den Augen vieler Verlagskaufleute kein gutes Anzeigenumfeld. Die sehen das als Altmännerthema. Das ist die Herausforderung, die uns reizt: Wir wollen einen frischen Ansatz im Wissenschaftsjournalismus etablieren.

dieZeitschrift.at: Was macht eure Geschichten aus?
Georg Dahm: Wir sind vielleicht etwas rotziger im Ton, und wir wollen die Person des Wissenschaftlers mehr in den Mittelpunkt der Geschichte stellen: Was heißt es, Jahre und Jahrzehnte seines Lebens einer Forschungsfrage zu widmen? Wir geben unseren Autoren den Platz, das zu erzählen. Wir wollen, dass Leute aus dem Wissenschaftsbetrieb ihre Lebensrealität in den Geschichten wiederfinden. Unser Anspruch lautet: Den Laien nicht zu überfordern, den Experten nicht beleidigen.

Digitales Format

dieZeitschrift.at: Warum habt ihr euch dafür entschieden, euer Magazin nur digital zu publizieren?
Georg Dahm: Weil die neuen Lesergeneration damit aufgewachsen ist, am Laptop oder Tablet zu lesen. Und weil wir die Möglichkeiten ausreiten wollen, die HTML5 uns heute für die Gestaltung bietet. Wir müssen ja sehr komplexe Inhalte erklären und visualisieren – da drängt sich das digitale Format geradezu auf. Wir stopfen nicht einfach Print-Geschichten in die Standard-Schablonen eines Content-Management-Systems, wir gestalten jede Geschichte individuell.

dieZeitschrift.at: Wer ist eure Zielgruppe?
Georg Dahm: Prinzipiell wollen wir alle erreichen, die sich in irgendeiner Form für Wissenschaft interessieren. 2013 hatten die populärwissenschaftlichen Magazine in Deutschland rund eine Million verkaufte Auflage – und das ist jetzt nur Print.

Bezahlschranken

Abos

Abo
pro Woche: 8,00 Euro,
pro Monat: 9,00 Euro,
2 Monate: 18.00 Euro,
3 Monate: 25,00 Euro,
6 Monate: 49,00 Euro
und für 12 Monate: 95,00 Euro.

dieZeitschrift.at: Man kann auf substanzmagazin.de entweder einen Artikel oder Abos kaufen. Wie viele Abos habt ihr schon verkauft?
Georg Dahm: Es wäre zu früh, jetzt schon Zahlen zu nennen, weil sich das alles erst zurechtruckeln muss. Aber es läuft gut an. Laut Businessplan müssen wir in den nächsten zwei Jahren auf eine Abonnentenzahl im oberen vierstelligen Bereich komme. Mit 5.000 Abonnenten hätten wir schon einen guten Teil geschafft.

dieZeitschrift.at: Warum habt ihr euch entschieden, eine Bezahlschranke einzurichten?
Georg Dahm: Weil wir gar keine Wahl haben, wir müssen ja unsere Leute bezahlen. Die Verlage haben ihre Leser daran gewöhnt, dass sie alles gratis kriegen – dieses Harakiri halten die nicht mehr durch. 2015 wird das Jahr der Bezahlschranke. Im Bereich Nachrichtenjournalismus ist der Drops gelutscht, kein ernstzunehmender Experte glaubt, dass für Nachrichten nochmal Geld bezahlt wird. Aber für große Geschichten, Features, Essays, und so weiter werden dieses Jahr die Bezahlschranken hoch gehen. Und die Leute haben sich ja auch daran gewöhnt, auf ihren Telefonen und Tablets für Inhalte zu bezahlen.

Geplatzte Lastschriften

dieZeitschrift.at: Warum habt ihr euch für das Micro-Payment-System LaterPay entschieden?
Georg Dahm: Wir wollten das Thema Bezahlung an einen Partner auslagern, der nicht nur die Technik übernimmt, sondern auch den Kundendienst und die ganze Abwicklung. Mit unserer Manpower können wir uns nicht auch noch um geplatzte Lastschriften kümmern. LaterPay war technisch leicht zu integrieren, und sie nehmen 15 Prozent Umsatzanteil, das ist ein ziemlich guter Deal. Apple und Google nehmen 30 Prozent. Und die versteuern sonstwo – Laterpay ist ein Münchner Startup und versteuert seine Einnahmen in Deutschland.

dieZeitschrift.at: Was steht noch in eurem Businessplan?
Georg Dahm: Wir haben ziemlich viele Ideen für Zusatzgeschäfte, die nur zum Teil im Businessplan stehen, weil wir bei den Zahlen immer sehr konservativ denken. Wir könnten uns vorstellen, Quartalsbände zu drucken, wir denken an Konferenzen, an White Papers für Firmenkunden und an Corporate Publishing. Wir bauen gerade eine Infrastruktur und ein Team zur Produktion von Digitalmagazinen auf – es wäre dämlich, dieses Potenzial nicht zu nutzen.

Schön

dieZeitschrift.at: Wie groß ist euer Team?
Georg Dahm: Im Kernteam arbeiten rund 20 Leute, alle auf Honorarbasis. Angestellt sind nur Denis und ich in unserer Position als Gesellschafter-Geschäftsführer.

dieZeitschrift.at: Könnt ihr schon davon leben?
Georg Dahm: Jein. Ja: wir zahlen uns Gehälter aus und wir bezahlen die Leute, die für uns arbeiten. Nein: Das Unternehmen ist noch defizitär, wie bei vielen Start-ups. In drei Jahren wollen wir profitabel arbeiten. Wir haben ja beide all unser Geld in das Unternehmen gesteckt und dann noch Kredite aufgenommen. Davon würden wir gerne etwas wiedersehen, das wäre ganz schön.

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