Alexandra Gruber
Initiative

„Furunkel am verlängerten Steißbein“

Donnerstag, 9. Januar 2014
Gerhard Hadinger hatte sich seine Pension wesentlich ruhiger vorgestellt. Als 2011 im Ostteil des Otto-Wagner-Areals Bagger auffuhren, änderte sich sein Leben. Er und die Mitglieder des Vereins Initiative Steinhof engagieren sich für die Erhaltung des einzigartigen Jugendstilensembles auf der Baumgartner Höhe – mit einigem Erfolg. Hadinger erzählt von „g'schobenen Partien“, schützenswerten Fichten und Wimmerln am Allerwertesten. Weiterlesen oder zur [Bildergalerie](http://www.diezeitschrift.at/content/ein-spaziergang-mit-der-initiative-steinhof-erhalten)
Gerhard Hadinger, Steinhof, Otto Wagner, Plan, Stadtspaziergang
Gerhard Hadinger
Gedenktafel an die Volksbefragung

Die Steinhof-Gründe sind ein sehr beliebtes Naherholungsgebiet im 14. Bezirk. Auf 42 Hektar gibt es Tümpel, Lagerwiesen und im Winter Langlaufloipen und Rodelbahnen. Anfang der 80er-Jahre sollte dieses Idyll unter SPÖ-Bürgermeister Leopold Gratz mit 885 Wohnungen verbaut werden. Obwohl die Wohnungen, im Gegensatz zu späteren Projekten, modern und erschwinglich sein sollten, formierte sich Widerstand: Eine Bürgerbewegung erzwang 1981 eine Volksbefragung. 140.394 Wiener stimmten für die Erhaltung der Steinhof-Gründe unter ihnen viele Wähler der damals noch jungen Grünen.

Otto-Wagner-Spital

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Gerhard Hadinger

Direkt an die Steinhof-Gründe grenzt das Otto-Wagner-Spital. Um die Jahrhundertwende von Carlo von Boog geplant und vom berühmten Architekten Otto Wagner streng symmetrisch angelegt und um die Jugendstilkirche „Hl. Leopold“ ergänzt, ist es heute eines der wenigen erhaltenen geschlossenen Jugendstilensembles der Welt.

345 Euro pro Quadratmeter

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Bebauungsplan 2007

25 Jahre nach der Rettung der Steinhof-Gründe wälzten die Stadtväter wieder Bebauungspläne, diesmal für das Otto-Wagner-Areal. Unter der damals noch alleinregierenden SPÖ mit ihrem Bürgermeister Michael Häupl beschloss der Wiener Gemeinderat am 15. Dezember 2006 Teile des Areals zu verbauen. 40 % des östlichen Randbereiches, ein Streifen zwischen den westlichen Spitalsteilen und eine Zone im Südosten sollten mit einer Gebäudehöhe von 16 Metern bebaut werden dürfen.

Gerhard Hadinger, Mitglied des 2012 formierten Vereins Initiative Steinhof, erklärt, was 2006 im Gemeinderat noch passiert ist: „Der Flächenwidmungsplan wurde geändert. Die Kennzeichnung ÖZ (nur für öffentliche Zwecke) fiel vier Jahre früher weg als gesetzlich vorgesehen. Es entstanden acht Bauplätze. Der Quadratmeterpreis wurde mit 345 Euro pro Quadratmeter sehr niedrig angesetzt – mit der Begründung, dass es sehr strenge Denkmalschutzauflagen gibt.“

620 Wohnungen

"2008 wurde in einer Gemeinderatsitzung beschlossen, einen der acht Bauplätze inklusive des zugeordneten Verkehrsflächenanteils und Kaufoptionen für die restlichen Grundstücke um 8.895.300 Euro zu veräußern. Verkäuferin war die Stadt Wien, vertreten durch den Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV), Käuferin war die GESIBA (Gemeinnützige Siedlungs- und Bauaktiengesellschaft)" erklärt Hadinger. Der KAV verwaltet als Unternehmung der Stadt seit 2002 alle Wiener Krankenhäuser, Pflegeheime und Ausbildungsstätten. Die GESIBA gehört ebenfalls zu 99,97 Prozent der Stadt Wien, 0,03 Prozent sind im Besitz des Österreichischen Siedlerverbands.

2011, inzwischen regiert die rot-grüne Koalition die Stadt, plante die GESIBA, den Ostteil des Otto-Wagner-Areals mit 620 Wohnungen zu bebauen und zusätzlich in bestehenden Gebäuden 100 Luxuswohnungen zu errichten.

Bagger

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Bis zu diesem Zeitpunkt war die Bevölkerung von den Vorhaben nicht informiert worden. Doch bei Spaziergängen hatten die späteren Vereinsmitglieder der Initiative Steinhof beobachtet, dass im Ostareal – dem ehemaligen Wirtschaftstrakt des Otto-Wagner-Spitals - Bagger auffuhren. Die Bürgerinitiative aus den 80er Jahre organisierte sich erneut und begann Fragen zu stellen. „Wir sehen uns nicht als Protestler und Gegner, sondern als Erhalter eines architektonisch einzigartigen Ensembles“, sagt Hadinger.

Das leerstehende ehemalige Krankenschwesternheim wurde abgerissen. Der internationale Konzern VAMED (Jahresumsatz 846,6 Millionen Euro) begann, ein Zentrum für orthopädische Rehabilitation mit 152 Zimmern zu bauen.

Baugenehmigung

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Im Juni 2012 beschloss die Wiener Gesundheitsplattform das Spitalskonzept 2030. Darin enthalten ist, das Teile der Psychiatrie und die orthopädische Abteilung des Otto-Wagner-Spitals in andere Krankenhäuser verlegt werden. „Die VAMED musste sich beeilen, die Baugenehmigung für des Rehab-Zentrums zu erhalten, bevor das Spital abgesiedelt wird“, sagt Hadinger. „A g'schobene Partie, weil kein Mensch ein Rehab-Zentrum braucht, wenn es kein Spital gibt,“ glaubt Hadinger.

Eine der ersten Fragen, die sich die Bürgerbewegung stellte, war: Wie war die privatwirtschaftliche VAMED zu dem Grundstück der gemeinnützigen GESIBA gekommen?

Der Gemeinderat hatte 2008 beschlossen, dass ein Grundstück im Ostteil nebst Kaufoptionen für die restlichen Grundstücke an die GESIBA verkauft würden. Der KAV verwaltet nicht nur den öffentlichen Grund der Stadtgemeinde Wien, sondern darf auch Teile davon - bis zu einer gewissen Höchstsumme im Millionenbereich ohne Gemeinderatsbeschluss – verkaufen.

Aus den Anfang 2012 geänderte Statuten des KAV geht hervor:

„Finanzierungsplan - § 20 - (...) Der Finanzierungsplan hat zu enthalten:
die zur Deckung des Geldbedarfes voraussichtlich zur Verfügung stehenden flüssigen Mittel (Geldbedeckung) einschließlich von Erlösen aus Anlagenverkäufen, der für den laufenden Betrieb und für die Finanzierung von Investitionen gewährten Zuschüsse sowie zur Finanzierung einzelner Investitionsvorhaben aufzunehmender Fremdmittel“.

„So einfach funktioniert Privatisierung öffentlichen Grundes“

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„Die GESIBA gab die Kaufoption auf zwei Grundstücke an den KAV zurück. Dieser verkaufte sie an die Volksbanktochter Immoconsult SPU Leasinggesellschaft mbH. Nach deren Konkurs ging das Grundstück in die Volksbank Real Estate über. VAMED hat das Grundstück von der VB Real Estate geleast und das Rehab-Zentrum gebaut.“ Seit Oktober 2013 ist das Rehab-Zentrum geöffnet. Hadinger fragte einen VAMED-Vertreter, was denn passiere, wenn der Leasingvertrag ausläuft. Antwort: „Das ist wie bei einem Auto, dann kaufen wir es“. „So einfach funktioniert Privatisierung öffentlichen Grundes,“ sagt Hadinger.

780 Autos

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Die Zufahrt zum Rehab-Zentrum und zu den geplanten Wohnungen ist die Reizenpfenninggasse, eine enge Sackgasse. „Manche Pavillons werden aus gutem Grund nicht renoviert,“ vermutet Hadinger, „sie fallen wegen ihres desolaten Zustandes dann aus dem Denkmalschutz heraus. So auch der Pavillon 8. Würde dieser geschleift werden, wäre die Einfahrt um ein vieles breiter.“ Selbst dann noch wäre die Sackgasse für die zukünftigen Bewohner der geplanten Wohnungen viel zu eng: Rechnet man mit 1,3 Autos pro Wohnung, wären das 780 Autos, die sich hier durchquetschen müssten. „Die Garagen sind schon gebaut. Beim Bau des VAMED-Zentrums – mussten die Bauherren auf Druck der Politik die Anzahl der Garagen erhöhen, nämlich in Hinblick auf die zukünftigen Wohnungen der GESIBA“, sagt Hadinger.

Auch die Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel ist schlecht. Außer den Bussen 48A, 46B und 51A hält kein öffentliches Verkehrsmittel in der Nähe des Areals. Selbst die anreisenden Patienten müssen bis zu einem Kilometer Fußmarsch in das Orthopädisch-Zentrum in Kauf nehmen, wenn sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen.

Zudem fehlt jegliche Infrastruktur in der Umgebung, es gibt kein Einkaufszentrum, keinen Kindergarten, keine Schule und keine Apotheken. Auch die Versorgung mit Heizung, Strom, Wasser und die Kanalisation sind momentan unterdimensioniert.

Erhaltung statt Zerstörung

Gerhard Hadinger Steinhof
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Die Bürgerbewegung sammelte 56.880 Unterschriften gegen das Bauprojekt und erreichte einen Baustopp der geplanten Luxus-Wohnungen und eine Mediation. Monatelang fanden unzählige Treffen zwischen der Initiative Steinhof, GESIBA, VAMED, dem KAV, der Wiener Standortentwicklung, der Stadtregierung und der MA21A (Stadtteilplanung und Flächennutzung) statt. Das Endergebnis wurde im September 2012 präsentiert. Viele der Forderungen der Initiative wurden in den Endbericht aufgenommen, u.a., dass der Ostteil als Teil des Gesamtareals betrachtet wird und das gesamte Areal in öffentlicher Hand bleibt, dass im westlichen Sanatoriumbereich keine Freiflächen verbaut werden dürfen und dass für die Zeit nach der Absiedlung des Spitalbetriebs im Jahr 2020 Nachnutzungsszenarien entwickelt werden müssen. Statt der Luxuswohnungen dürfen 160 Genossenschaftswohnungen mit einer Nettomiete von 7,50 Euro pro Quadratmeter errichtet werden. Die GESIBA erhält ein Baurecht über 99 Jahre. Bei der Gemeinderatssitzung am 19. November 2013 wurden die in der Mediation erarbeiteten Vorschläge offiziell beschlossen.

Somit hat die Initiative Steinhof es geschafft, das Otto-Wagner-Areal zu erhalten. Doch das klotzige VAMED-Gebäude steht bereits. Optisch wirkt es, als sei es nicht fertig gebaut worden.

Weltkulturerbe?

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Im Jänner 2013 startete die Initiative eine Petition, um das Otto-Wagner-Areal zum Weltkulturerbe ernennen zu lassen. Innerhalb kürzester Zeit fanden sich 7000 Unterstützer. Hadinger gab eine Studie in Auftrag, die zum Ergebnis kam, dass das Jugendstilensemble die Bedingungen der UNESCO erfüllt. Doch der städtische Petitionsausschuss lehnte das Ansinnen ohne Begründung ab. Hadinger erhob Einspruch und wartet seither auf die Antwort darauf, warum die Stadt Wien den Antrag zur Aufnahme als Weltkulturerbe nicht stellt.

"Wimmerl"

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Informationen zum Mediationsverfahren
KAV,
Stadt Wien
Weltkulturerbe, Steinhof

Mehr Informationen auf:

Hadinger will nicht aufgeben, auch wenn sich Bürgerbewegungen oft wenig schmeichelhafte Komplimente anhören müssen: In einer Bauzeitung schrieb die Chefreakteurin, die Bürgerinitiativen seien „Wimmerl am Allerwertesten der Bauherren“. „Ich dachte mir nur: Ich bin lieber ein Furunkel am verlängerten Steißbein der Bauherren, als ein Zerstörer der Heimat.“

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